1Q84 (Rezension)
⭐⭐⭐⭐ ⭐
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Als ich »Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki« las, war ich so begeistert von Murakami, dass ich einfach unbedingt mehr wollte. Direkt im Anschluss wurde ich dann jedoch von »Honigkuchen« enttäuscht, um kurz danach von »Die Ermordung des Commendatore« wiederum regelrecht überwältigt zu werden. Letzteres ist für mich ein Meisterwerk und ganz klar der beste Roman von Murakami, den ich bislang lesen durfte.
Danach ging es mit »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer« weiter, was mich allerdings nur teilweise fesseln konnte. Die Gründe dafür hatte ich in meiner Rezension zum Buch bereits genannt. Inzwischen bin ich bei »1Q84« angelangt. Stellt sich die Frage, ob der Rhythmus derselbe bleibt. Lese ich immer erst eine Murakami-Enttäuschung, um im Anschluss und vom nächsten Buch dann wieder vollkommen begeistert zu sein?
Vorab sei schon einmal verraten, dass »1Q84« ein spannender Roman ist. Das Werk besitzt viele interessante Ansätze, die nach Antworten schreien und dadurch immer wieder viel Spannung erzeugen. Nur so richtig begeistern oder fesseln konnte es mich aufgrund vieler störender Kleinigkeiten leider nicht.
Warum das so ist und wie mein Fazit zu »1Q84« stattdessen ausfällt, erfahrt ihr hier in meiner ausführlichen Rezension zum Buch. Wie immer versuche ich, dabei auf die speziellen Eigenheiten des Romans einzugehen und meine Gedanken zu diesem möglichst detailliert darzustellen. Auf diese Weise könnt ihr anschließend für euch selbst entscheiden, ob »1Q84« etwas für euch ist, oder ihr die Sache ähnlich seht, wie ich.
Eine Puppe aus Luft
Der Plot von »1Q84« gefällt mir zu Beginn recht gut. Unter anderem, weil er sofort mit interessanten Rollen einsteigt. Da ist die rätselhafte Aomame, die mit gezielten Nadelstichen Morde begeht. Warum, das bleibt zunächst offen, stellt sich aber schon bald als eine Art gute Tat heraus. Sie mordet im Auftrag der Gerechtigkeit.
Außerdem wäre da noch Tengo. Ein Hobby-Schriftsteller, der gerne ein richtiger wäre und nun seine Chance wittert. Nämlich, als die 17-jährige Fukaeri einen Roman im Verlag einreicht, den er als Ghostwriter überarbeiten soll. Ein Roman, der von einer Puppe aus Luft handelt und seltsame, fremdartige Wesen aus einer Parallelwelt beschreibt. Ist das, was Fukaeri in ihrem Roman schildert, vielleicht wirklich passiert?
Allmählich laufen die unterschiedlichen Handlungsstränge und Geschichten dann zusammen, entwickeln sich zu einer Verfolgungsjagd und bringen einen mysteriösen Detektiv ins Spiel, der im Auftrag einer Sekte nach den beiden sucht. Alles, was ist und war, wird sich infolgedessen für immer verändern. Und dann sind da auch noch die zwei Monde am Himmel, die darauf hindeuten, dass hier etwas ganz gewaltig nicht stimmt. Nur was?
Zu viele Längen
Die Geschichte von »1Q84« ist auf dem Papier überaus spannend, plätschert für meinen Geschmack aber zu sehr vor sich hin. So interessant die einzelnen Rollen im Buch auch sein mögen, sie entwickeln sich viel zu langsam und das meiste verläuft dann auch noch nebenbei im Sande. Anderes im Verlauf der Story driftet gar komplett ab und erzählt von Dingen, die weder etwas mit der Geschichte selbst zu tun haben, noch als Anekdote in irgendeiner Weise fesselnd oder überhaupt von Bedeutung wären.
Was sich schnell sagen lässt, ist, dass das Buch mit seinen drei Teilen, aufgeteilt in zwei Bücher, viel zu lang geraten ist. »1Q84« wirkt, gerade im letzten Band, unglaublich gestreckt und bemüht, doch noch etwas mehr zu erzählen. Die Länge sorgt aber leider nur dafür, dass vieles von dem, was interessant zu sein scheint, ziemlich undeutlich wird. Die Spannung ist dann schnell dahin und jegliches Tempo im Verlauf der Geschichte wird immer wieder gedrosselt.
Dabei zieht mich einiges in »1Q84« regelrecht in seinen Bann. Immer wieder entwickeln sich diese Stellen dann aber entweder gar nicht oder nur sehr langsam und beiläufig weiter. Oft war ich einfach enttäuscht davon, dass der Handlungsstrang einen derart langweiligen Verlauf nahm und die große Geschichte damit wieder einmal nicht so richtig vorankam. Das ist schade, weil die Grundlage für einen packenden SciFi-Krimi durchaus vorhanden ist.
All das Gesagte gilt insbesondere für Teil drei, also das zweite Buch. Hier ist »1Q84« voller Belanglosigkeiten und Nebenerzählungen, die vollkommen unnötig zu sein scheinen. Die schlichtweg wertlos sind, weil sie nichts zu der Geschichte beitragen. Vom Gefühl her war das Ende längst fertig, aber zu kurz, um es als einzelnes Buch zu veröffentlichen. Also musste davor noch eine Geschichte konstruiert werden. Das jedenfalls war mein Eindruck.
Wie in einem Drehbuch
Was mich zu Beginn gar nicht so sehr störte, wurde mir dann im Verlauf jedoch immer klarer. »1Q84« ist voll mit Personen, die immer genau das tun, was sie gerade sollen. Bücher sind in meinen Augen allerdings eher wie das echte Leben geschrieben. Da passieren viele Dinge, die eben nicht passieren sollen. Charaktere entwickeln sich, Personen begehen menschliche Fehler und erkennen diese im Verlauf einer Handlung auch als solche an.
In »1Q84« ist das nicht so. Alles passiert immer genau so, wie es soll. Jeder einzelne Protagonist zieht bei jeder Entscheidung exakt die richtigen Schlüsse. Egal, was gerade passiert, alles wird von den handelnden Personen sofort auch genau so wahrgenommen. Was umso absurder zu sein scheint, wenn ich bedenke, worum es in »1Q84« teilweise geht.
Wenn morgen ein UFO auf der Erde landet, denke ich jedenfalls nicht sofort daran, dass das wirklich ein UFO war. Ich schlussfolgere auch nicht zufällig, von welchem Planeten es stammt. Und ich weiß auch nicht durch eine plötzliche Eingebung, wo genau es gelandet ist und kenne die exakten Koordinaten des Ortes. Überspitzt gesagt, passiert genau das aber in »1Q84«. Ständig. Jeder zieht immer sofort die richtigen Schlüsse und weiß Bescheid.
Statt authentisch oder glaubwürdig, wirkt »1Q84« daher oft wie eine Art Drehbuch. Der Roman wird dadurch nicht automatisch schlecht, nur vieles darin ist eben ziemlich vorhersehbar. Weil die Protagonisten ebenfalls alles vorhersehen. Selbst dann, wenn etwas vollkommen absurd zu sein scheint. Ganz gleich, um wie viele Ecken gedacht werden muss, sie tun es und kommen somit natürlich auch auf die richtige Lösung der Ereignisse. Mich hat das nach einer Weile genervt.
Ziemlich viele Klischees
Nun mag der Roman zu seiner Veröffentlichung bahnbrechend oder zukunftsträchtig gewesen sein, für mich ist er das heute aber nicht mehr. Mir gibt es zum Beispiel zu viele Klischees. Sei es die edle Kämpferin, die alte Dame mit gutem Herzen, der eiskalte Leibwächter, Tengo oder Ushikawa. Sie alle sind Abziehbilder, die wie Comic-Helden wirken, nicht wie tiefe menschliche Charaktere, mit nachvollziehbaren Gründen.
Denn das, was interessant an ihnen ist, wird nur bedingt behandelt. Sei es nun Aomame, mit ihrer Sektenvergangenheit, oder Tengo, mit seinem Kindheitstrauma. Das könnte alles tiefgehende Persönlichkeiten bilden, tut es aber nicht. Haruki Murakami behandelt zwar all das, aber nie so, dass es zu etwas führen würde. Jedenfalls zu nichts, was mit dem, was man sich direkt denkt, bricht. Was anfangs tiefgründig zu sein scheint, verpufft daher schnell. Wird regelrecht platt.
Vor allem das Ende ist erschreckend klischeehaft. Während die anderen Werke von Murakami poetisch, mystisch und geradezu nachdenklich zu Ende gehen, endet »1Q84« relativ offensichtlich. Da ist nichts, über das ich noch nachdenken müsste. Dafür war das, was zuvor passierte, viel zu sehr in die Länge gezogen. Denn wie bereits erwähnt ist speziell das zweite Buch nichts weiter als eine Aneinanderreihung von langatmigen, unnötigen Geschichten aller Protagonisten. Aus mehreren Perspektiven.
Es fesselt mich trotzdem
Ist »1Q84« also ein schlechtes Buch geworden? Nein, ganz sicher nicht. Haruki Murakami erschafft dieses Mal eine deutlich realere Welt, geht bei den Charakteren interessanterweise aber den genau umgekehrten Weg. Die erinnern mich nämlich eher an ein paar Actionfiguren aus einem Comic. Im Hinblick auf die Handlung ist »1Q84« außerdem wenig subtil und vielmehr voll in die Fresse. Das muss man schon mögen. Meins ist es nicht, aber schlecht fand ich den Roman deshalb auch nicht.
Im Gegenteil. Das Buch hat genau genommen alles, was ich von Murakami erwarte. Es zieht sich nur endlos in die Länge. Als ich von den »Little People« hörte, war ich sofort gebannt. Als eine »Puppe aus Luft« ins Spiel kam, mystisch verzaubert. Wieder einmal verbindet Murakami Roman und Märchen in einem und verwebt beides gekonnt miteinander. Nur eben nicht so gut, wie in seinen anderen Büchern. Vor allem aber zu langatmig.
Das ist auch gleich ein gutes Stichwort. Das imaginäre Buch im Buch, welches »Die Puppe aus Luft« genannt wird, hätte mich fast mehr interessiert als das Buch, welches ich gelesen habe. Von der Puppe hätte ich gerne mehr erfahren, genau wie über die Sekte. Stattdessen wird »1Q84« zu einem Krimi, der einfach nicht enden will und sich endlos in die Länge zieht.
Fazit zu 1Q84
In meiner Rezension habe ich nun viel gemeckert, ich weiß. Mehr als »1Q84« verdient hat. Es ist kein schlechtes Buch. Murakami-Leser bekommen hier genau das, was sie von Murakami erwarten. Im Vergleich mit seinen anderen Büchern erschien mir »1Q84« aber ziemlich schwach. Mich jedenfalls hat es nicht verblüfft oder begeistert zurückgelassen. Vielmehr war ich froh, dass es endlich ein Ende gefunden hatte und ich es weglegen konnte.
Denn obgleich »1Q84« ein gutes Buch ist, fehlt viel für ein Meisterwerk. Zudem ist es einfach zu langatmig erzählt. Gerade im dritten Teil, also dem zweiten Buch, werden eine Menge belanglose Geschichten aneinandergereiht. Diese werden dann zu allem Übel auch noch aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und somit wiederholt. Es ist unverständlich, warum das zweite Buch derart schwach ist, aber es hinterlässt den faden Beigeschmack, dass hier viel um ein fertiges Ende herum erfunden werden musste. Anders kann ich mir die bedeutungslosen Abschweifungen nicht erklären.
»1Q84« erzählt demnach eine spannende Geschichte, die jedoch stark unter ihrer Länge leidet. Weniger Seiten wären hier mehr gewesen. Am Ende war ich einfach nur froh, es hinter mir zu haben. Noch einmal würde ich es nicht lesen. Es war aber auch nicht schlecht. Schwierig, dies in Worte zu fassen. Solide drei Sterne würde ich vergeben. Es war eben einfach zu lang.