Die Ermordung des Commendatore Band 1 & 2 (Rezension)
⭐⭐⭐⭐⭐
Buch auf Amazon.de* ansehen

Murakami ist selten ein Zufall
Wer ein Buch von Haruki Murakami aufschlägt, weiß für gewöhnlich, worauf er sich einlässt. Zufällig stolpert selten jemand über seine Werke. Mir ging es einst so und seitdem verschlinge ich seine Romane regelrecht und halte Ausschau nach neuen Werken oder weiteren Hintergrundinformationen. Selten schafft es ein Autor, Welten so unglaublich geschickt zu vermischen. Was Realität und Fiktion sind, bestimmt hier der Verfasser und alles, was er in seinen Büchern erschafft, wirkt unglaublich authentisch und echt, auch wenn es offensichtliche Fiktion ist. Das allein ist bereits große Kunst.
»Die Ermordung des Commendatore« kam zu mir, in einer Zeit, in der ich krank war. Ich lag mal wieder so richtig flach und meine Frau brachte mir einige Bücher aus der Bibliothek mit. Eins davon war »Honigkuchen« und die beiden anderen »Die Ermordung des Commendatore«. Also Band 1 und Band 2. Während »Honigkuchen« am Ende eine Enttäuschung für mich wurde, zog mich »Die Ermordung des Commendatore« sogleich in seinen Bann.
Warum das so war, ist einfach und zugleich auch schwierig zu fassen. In den folgenden Absätzen möchte ich dennoch versuchen, die Faszination zu schildern, welche »Die Ermordung des Commendatore« in mir auslöste. Doch zunächst ein wenig zu dem Inhalt der Geschichte selbst.
Geschichte eines erfolglosen Malers
Das Buch handelt von einem erfolglosen Maler, der weder seinen Stil gefunden hat, noch ein wahrhaftig glückliches Leben führt. Seine Frau scheint kein Interesse mehr an ihm zu haben, kreative Bilder malt er nicht, er setzt lediglich Porträts auf Bestellung sowie am Fließband um. Eines Tages hat er das alles ziemlich satt. Also macht er sich auf und reist durch das Land, durch Japan, ohne zu wissen, was genau er überhaupt sucht.
Seine Reise führt ihn an vollkommen unterschiedliche Orte, doch endet in dem Anwesen eines berühmten Malers. Dort spürt er den Geist der Vergangenheit, die Seele des alten Künstlers, von dem er infolge der Ereignisse immer mehr erfährt. Zu Beginn jedoch weiß er noch gar nicht allzu viel. Außerdem ist da noch Menshiki, sein geheimnisvoller Nachbar, der alles kann, alles ist und ihm doch von Anfang an ziemlich merkwürdig erscheint. Was treibt Menshiki an und was hat es mit der jungen und hübschen Marie Akigawa auf sich, von der Menshiki regelrecht besessen ist und ein Porträt von ihr in Auftrag gibt, welches er unbedingt sein Eigen nennen möchte.
Als dann noch ein merkwürdiges Bild des verstorbenen Malers auf einem schwer erreichbaren Dachboden zum Vorschein kommt, beginnt die Welt sich plötzlich gänzlich zu drehen. Hier beginnt dann auch die Magie Murakamis. Und aus dem anfangs so realitätsnahen Roman wird auf einmal eine Geschichte, die das eigene Denken auf den Kopf stellt und Dinge möglich werden lässt, die einem zuvor eigentlich unmöglich erschienen.
Wie ein Märchen im besten Sinne
Was Murakami in »Die Ermordung des Commendatore« gelingt, ist nichts anderes als ein leichtfüßiger Wechsel von Fiktion und Realität. Immer wieder verschwimmen hier Welten. Urplötzlich formt sich eine zunächst so ernsthafte Geschichte zu einem Märchen. Ja, Märchen trifft es ausgezeichnet, denn oft kommt mir die Geschichte, wenn sie sich dann wieder der Fiktion nähert, genau so vor. Wie ein Märchen, bei dem ganz andere Regeln gelten als in der uns bekannten Welt und in dem alles real zu sein scheint und es doch nicht ist.
Gleichzeitig ist der Sprung nicht allzu groß. Wie in einem Märchen, bei dem sich eine gar nicht so absurde Geschichte mit etwas Absonderlichem vermischt, ist es auch in »Die Ermordung des Commendatore«. Die zugrundeliegende Geschichte bleibt in sich sehr stimmig, absolut real, ernst, stellenweise tiefgründig und immer auch intellektuell. Sie besitzt einen gewissen Anspruch in ihrer Sprache, handelt von Themen wie der Malerei oder klassischer Musik, gibt sich nicht mit Plattitüden ab und erscheint sehr lebensnah. Bis dem dann nicht mehr so ist.
Murakami ist dabei ein überaus intelligenter Autor. Wer sich selbst an solch kultureller Vielfalt erfreut, wie er es tut, findet noch weitaus mehr zwischen den Zeilen. Findet sich wieder in seinen Kritiken zur klassischen Musik oder Kommentaren zur Welt der Kunst. Das gefällt mir selbst ausgesprochen gut und ist so weit weg von dem, was viele moderne Autoren tun. Nämlich immer flacher und flacher schreiben, um auch noch den letzten Menschen als potenziellen Leser oder potenzielle Leserin zu erreichen. Murakami versucht das gar nicht erst, verdummt seine Sprache demnach nicht, erreicht aber trotzdem alle. Meiner Meinung nach, weil seine Werke sich wie ein Märchen lesen lassen und deshalb auch alle Menschen gleichermaßen erreichen.
Zwischen Langeweile und Thriller-Plot
Begeistert hat mich auch, dass »Die Ermordung des Commendatore« nie ein Thriller war, gleichzeitig aber stets denselben Sog auslöste. Die Geschichte für sich genommen ist stellenweise langatmig, plätschert oft vor sich hin, erzählt etwas, legt dann aber wieder eine Pause ein. Das jedoch ist derart geschickt in Worte verpackt, dass ich stets wissen möchte, was als Nächstes passiert. Der Roman erzeugt Spannung, ohne jemals wirklich spannend zu sein.
Das, was im Handlungsstrang passiert, ist selten groß und fühlt sich doch oft gigantisch an. Murakami gelingt es, aus Banalitäten bahnbrechende Wendungen zu formen. Gewöhnliches wirkt, wenn er es beschreibt, umschreibt und letztlich eben einfach aufschreibt, unglaublich fesselnd. Ich lausche also den Anekdoten über Malerei, klassische Musik, Krieg oder religiösen Eigenheiten und auch den Kommentaren zum Thema Sex, der Liebe oder dem Verständnis von Schönheit und dem Erwachsenwerden.
All das ist oft geradezu eintönig, aber nie langweilig. Wenn meine Frau mich fragt, worum es in dem Buch eigentlich geht, sagte ich immer, dass es im Grunde um gar nichts geht. Es geht um nichts und doch um alles. Es geht um nichts, doch das ist derart spannend verpackt, dass es um vieles geht. Und dann plötzlich passiert doch wieder etwas, von dem ich nie angenommen hätte, dass es überhaupt passieren würde.
Zauber des absolut Unerwarteten
All das ist etwas, was Murakami hervorragend beherrscht. Er überrascht mich als Leser häufig mit Dingen, die ich einfach nicht habe kommen sehen. Weil immer und jederzeit alles passieren kann. Auch vollkommen Surreales, Abgedrehtes oder geradezu Irres. So kann ich nie sicher sein, was als Nächstes passiert. Bücher von Murakami sind einfach nicht vorhersehbar.
Auch auf »Die Ermordung des Commendatore« trifft das zu. Gerade hier. Denn so wie das Buch beginnt, endet es nicht. So wie die Geschichte zu sein scheint, ist sie nicht. Aber in welche Richtung sie sich entwickelt, ist dabei nicht erahnbar. Damit rechnet niemand. Auch dann nicht, wenn Murakami als Autor schon bekannt ist.
Die Faszination ist also gewissermaßen der Zauber des absolut Unerwarteten. Weil alles passieren kann, bleibe ich immer in freudiger Erwartung. Gleichzeitig muss aber auch nichts passieren. Selbst Belanglosigkeiten sind, wenn Murakami sie beschreibt, unglaublich spannend. Schon die normalen Ereignisse im Leben des Protagonisten fesseln mich an die Seiten. Stets möchte ich weiterlesen, bin geradezu genervt davon, wenn mich die Müdigkeit übermannt und ich schlafen muss. Ich denke, das ist das beste Zeichen dafür, dass ein Buch gut ist.