Die leise Last der Dinge (Rezension)

⭐⭐⭐⭐
Die leise Last der Dinge
Die leise Last der Dinge, Ruth Ozeki

Zu lang, um gut zu sein. Zu gut, um zu lang zu sein. Es hätte die Länge nicht gebraucht, doch die Schreibweise ist erfrischend anders und so macht es bis zum Ende hin Spaß weiterzulesen (mal mehr, mal weniger). Die Geschichte selbst ist leider oft lückenhaft, stellenweise recht absurd, bevor sie dann übereilt und unbefriedigend abgeschlossen wird. Schade. Hier wurde viel Potenzial verschenkt. Trotz aller offensichtlichen Schwachstellen ist »Die leise Last der Dinge« von Ruth Ozeki ein überaus interessantes Buch, welches sehr intelligent geschrieben wurde und damit allein bereits zu begeistern weiß.

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Rezension

Manchmal bin ich auf der Suche nach Büchern, ohne genau zu wissen, was genau ich eigentlich lesen möchte oder wonach ich überhaupt tatsächlich suche. Eben so stieß ich auch auf »Die leise Last der Dinge« von Autorin Ruth Ozeki. Ein Buch, von dem ich zu Beginn nicht genau wusste, was mich erwartete, was mich aufgrund seiner Beschreibung aber sofort neugierig machte. Ich wollte mehr erfahren.

»Die leise Last der Dinge« beschreibt das Drama einer kleinen Familie, die ihren Vater auf tragische Weise verliert und danach in schwerer Trauer versinkt. Nachdem dieser gestorben ist, gehen Mutter und Sohn ganz unterschiedlich mit der schwierigen Situation um. Während Annabelle (die Mutter) zum Messi mutiert, sinnlose Dinge anhäuft und die Wohnung verwahrlosen lässt, liebt ihr Sohn (Benny) die Ordnung und fühlt sich von all den Gegenständen, die ihn umgeben, geradezu erdrückt. Die Objekte beginnen mit ihm zu reden, flüstern ihm Dinge zu, belasten seine Seele und somit dauert es nicht lange, bis klar wird, dass Benny psychisch krank zu sein scheint. Obwohl Annabelle ihren Sohn über alles liebt und alles für seine Genesung tun würde, sind beide mit der Situation sowie dem plötzlichen Alleinsein heillos überfordert und erfahren von keiner Seite Hilfe. Derart isoliert kommen nur noch weitere Probleme hinzu, die sich immer mehr anzuhäufen scheinen, zu einem riesengroßen Berg aus Sorgen. Daraufhin nimmt das Drama gänzlich seinen Lauf.

Spannend ist »Die leise Last der Dinge« als Buch unter anderem deshalb, weil es stellenweise selbst zu Wort kommt. Das Buch erzählt sich zum Teil also tatsächlich aus der Perspektive eines Buches und schwafelt abseits dessen von der Macht, die Bücher über ihre Leser besitzen. Das ist kreativ, zugegebenermaßen auch ein wenig absurd, wirkt stellenweise manchmal etwas albern, erzwungen und bemüht, bleibt dabei aber angenehm in seiner Schreibart. Überhaupt hat »Die leise Last der Dinge« einen hervorragenden Schreibstil und so liest es sich durchgehend flüssig, wie aus einem Guss, selbst wenn sich die Handlung nicht immer auf demselben Niveau befindet, viel zu oft abschweift und gelegentlich grotesk lächerlich erscheint. Mitunter kann sich die Autorin dabei selbst nicht ernst nehmen, so wirkt es auf mich. Was auf der einen Seite toll ist, weil es eine erfrischende Leichtigkeit in das Buch bringt, mir aufgrund des schwierigen Themas aber ebenso fehl am Platz vorkommt und mir dabei mehr als einmal geradezu unpassend erscheint.

Was mich an dem Buch »Die leise Last der Dinge« wirklich gestört hat, ist die teilweise sehr an den Haaren herbeigezogene Handlung. Aus dem Nichts werden Personen eingeführt, die einfach nicht plausibel oder geradezu abgedreht und skurril anmutend sind. Was haben sie in diesem Roman verloren? Welchen Sinn erfüllen Sie? Mir ist das beim Lesen nicht immer ganz klar geworden. Der Roman wirkt dadurch oft abschweifend, ohne dass die Anekdote oder der weitere Handlungsstrang einen wirklichen Mehrwert herbeiführt. Dadurch zieht sich das Buch stellenweise, selbst wenn das durch die gute Schreibart nicht immer negativ auffällt und sich weiterhin gut lesen lässt. Ein wenig gestreckt und ziellos scheint der Roman zur Mitte hin dann aber doch zu sein, bevor er wieder seinen roten Faden findet und erneut etwas mehr Sinn in die Geschehnisse bringt. Dennoch stellte ich mir beim Lesen mehr als einmal die Frage, warum die letzten paar Seiten jetzt wirklich notwendig waren, da sie nichts Sinnvolles oder Spannendes zur Geschichte beitrugen.

Im Buch bleibt die Autorin dabei, verschiedene Dinge in erster Linie nur vage anzudeuten. Es gibt in »Die leise Last der Dinge« durchaus Bezüge auf reale Ereignisse, die dann aber gar nicht weiter thematisiert werden. Erst dachte ich, es fehle ihr an Mut, bestimmte Sachen einfach mal ganz direkt beim Namen zu nennen. Nach Abschluss bin ich aber eher der Meinung, die Autorin Ruth Ozeki wollte ganz bewusst keine Fakten schaffen, sodass jeder Leser seine eigenen Wahrheiten und Ereignisse in die Figuren hineininterpretieren kann. Das ist allerdings nicht so mein Fall, da schwammige Aussagen für sich eben oft bedeutungslos bleiben, wenn sie sich nicht trauen, ihren Kern auch deutlich auszusprechen. Hier verschenkt »Die leise Last der Dinge« wieder unglaublich viel Potenzial und erzeugt einen Nebel, der alles und nichts sein kann, aber deshalb auch nicht wirklich aussagekräftig in Erscheinung tritt. Ich lese hinein, was ich gerade denke und empfinde und das ist einfach nicht meine Art von Literatur. Das ist alles etwas Wischiwaschi, um es mal ganz salopp zu sagen. Nicht falsch verstehen, ich liebe Bücher, die auch zwischen den Zeilen Botschaften platzieren, doch hier wird kaum etwas zwischen den Zeilen versteckt, sondern vieles bleibt schlichtweg unscharf und somit belanglos. Das ist für mich als Leser sehr unbefriedigend.

All die Kritik beiseitegelassen, bleibt »Die leise Last der Dinge« ein unglaublich gut geschriebener Roman. Er wirkt geradezu leicht, obwohl er sich mit einem tonnenschweren Thema befasst und erdrückt mich dann doch wieder, wenn ich nachts ein paar Seiten lese und sofort traurig, geradezu schwermütig werde, aufgrund des großen Dramas im Buch und der ausweglosen Situation aller Figuren, die ihre Probleme meist in ihrem eigenen Inneren behalten, statt einander zu helfen. Das fesselt, macht Freude und belastet zugleich, liest sich dabei aber auch wie in einem Rausch. Ich wollte stets wissen, wie es weitergeht und was noch passiert. Manchmal wollte ich die Personen regelrecht an den Schultern packen, sie schütteln und schreien: »Warum merkt ihr es denn nicht? Tut doch endlich was! Redet miteinander.«

Auch wenn die Geschichte selbst also etwas absurd, arrangiert und somit oft auch einfach unglaubwürdig erscheint, hat sie dennoch viele interessante Stellen und authentische Fakten. Wer das alles nicht so ernst nimmt, erlebt hier einfach mal wieder eine Geschichte. Und Geschichten dürfen so sein. Dürfen sich Dinge zurechtbiegen, Ereignisse überspringen oder auch frei formen, damit sie zur Handlung und Idee passen. Genau das macht »Die leise Last der Dinge« nahezu permanent und es gelingt dem Buch wirklich hervorragend. Ich nehme es ernst und zugleich auch nicht. Ich lese etwas Realitätsnahes und dann wirkt es doch wieder wie ein absurdes Märchen. Verrückt, wie sich das abwechselt und mich doch in einen Bann zieht.

Für mich ist »Die leise Last der Dinge« kein Meisterwerk und es hat auch keinen Preis oder eine Auszeichnung verdient. Vielmehr erzählt das Buch eine überraschend andere Art von Geschichte auf eine erfrischend moderne Weise. Zu lang war es jedoch definitiv. Zu gestreckt und oft auch unnötig abschweifend. Viele Erlebnisse und Charaktere hätte es gar nicht gebraucht, um das Kernthema zu vermitteln. Das sorgt leider dafür, dass sich die tolle Schreibweise von »Die leise Last der Dinge« zur Mitte hin arg abnutzt und ich kaum noch dabeibleiben wollte. Wer es aber über die Mitte hinweg schafft, wird dann doch wieder belohnt, nur um zum Ende hin abermals enttäuscht zu werden. Denn das ist, bei allem Wohlwollen meinerseits, einfach lieblos geworden. »Die leise Last der Dinge« ist ungefähr so kreativ und sinnvoll zu Ende geführt, wie ein Ende, bei dem alle Figuren aufwachen und die Geschichte nur geträumt haben. Obwohl ich das Buch also wirklich mochte, trotz all seiner Schwächen, war das Ende wirklich ernüchternd. Manche Bücher dürfen meiner Meinung nach so enden, wie man es erwartet. Sie müssen keinen überstürzten Wandel mehr vollziehen, nur um sich selbst daran abzumühen, ein möglichst anderes Ende zu erzeugen, als der Leser erwartet hat.

»Die Leise Last der Dinge« ist somit ein wunderbares, etwas zu langes Buch, welches von einer Kürzung und Konzentration auf das Wesentliche stark profitiert hätte. Es ist teilweise belastend zu lesen, erdrückt einen mit negativen Gefühlen und vor allem auch Mitgefühl, macht traurig und ist somit nicht immer einfach zu lesen. Gerade nachts fand ich das Buch manchmal sehr schwierig, weil es mich herunterzog und eigene negative Gedanken hervorbrachte oder sie schlichtweg verstärkte. Doch am Ende überwiegt für mich die tolle Schreibweise und die interessante, ernsthafte Handlung, die dann ganz klar vier Sterne verdient hat. Kein Meisterwerk, aber ich bereue es nicht, das Buch gelesen zu haben. Allein schon deshalb, weil »Die leise Last der Dinge« so anders ist als viele andere Bücher.